Gerichtsstreit im Kaskoversicherungsrecht

Der Kläger begehrt gegenüber seiner Kaskoversicherung eine Neupreisentschädigung aufgrund eines mit seiner Kaskoversicherung bestehenden Kaskoversicherungsvertrages mit dem Leistungsbaustein Prämien-Schutz, der eine Neupreisentschädigung vorsieht, wenn innerhalb von 24 Monaten nach der Erstzulassung ein Totalschaden an dem kaskoversicherten Fahrzeug entsteht. Im vorliegenden Rechtsstreit wurde das Fahrzeug innerhalb von 24 Monaten nach der Erstzulassung aufgrund eines Schadensereignisses total beschädigt.

Der Kläger macht hier geltend, dass es sich bei dem Schadensereignis um einen kaskoversicherten Unfall handelte. Am 03.07.2018 prallte der Kläger, nachdem er beim Anfahren sein Fahrzeug stark beschleunigt hatte, frontal gegen einen Straßenbaum. Das Fahrzeug erlitt hierbei einen Totalschaden.

Die beklagte Kaskoversicherung lehnte den Versicherungsschutz mit der Begründung ab, dass es sich um vorliegend um keinen Unfall handelte, weil es sich nicht um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis handelte, denn der Kläger sei mit seinem Fahrzeug in suizidaler Absicht gegen einen Baum gefahren, weshalb das Fahrzeug total beschädigt wurde. Insofern handele es sich nach Ansicht der Kaskoversicherung um eine vorhersehbare (nicht versicherte) Beschädigung des grundsätzlich kaskoversicherten Fahrzeugs des Klägers. 

Die vorhersehbare bzw. sogar absichtliche Beschädigung des Fahrzeugs rühre nach Ansicht der Kaskoversicherung daher, dass der Kläger sein Fahrzeug aus dem Stand heraus auf einer geradeaus führenden und sonst unbefahrenen Straße mit Vollgas angefahren habe und letztlich mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit direkt gegen einen am Straßenrand stehenden Baum bis zum Aufprall zugefahren ist, ohne dass eine Ausweichreaktion des den Pkw fahrenden Klägers erfolgt sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht bestritt der Kläger seine ihm von Seiten seiner Kaskoversicherung unterstellte Selbstmordabsicht bzw. die von Seiten der Versicherung behauptete absichtlich herbeigeführte Beschädigung des kaskoversicherten Fahrzeugs. Das Gericht entschied daraufhin am Ende der Sitzung, dass ein gerichtlicher Sachverständiger hinzugezogen werden solle, der prüfen wird, inwieweit es sich bei dem Schadensereignis um ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis, also um einen Unfall, handelte oder ob der Kläger aufgrund der äußeren Umstände der Fahrt gegen den Baum wohl doch absichtlich mit seinem Fahrzeug gegen den Baum am Straßenrand gefahren ist. 

Sollte es sich um einen Unfall handeln, so würde das Gericht außerdem zu prüfen haben, ob der Versicherungsschutz deswegen nicht besteht, weil der Schaden am Fahrzeug gegebenenfalls vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt worden ist. Dementsprechend erteilte das Gericht im Verhandlungstermin einen Hinweis an die Parteien.

Das Gerichtsverfahren wird unter dem Az. 3 O 1261/19 beim Landgericht Leipzig geführt. Nach Eingang des Sachverständigengutachtens wird das Gericht einen neuen Verhandlungstermin bestimmen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens nebst ergänzender Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen die Klage abgewiesen. Zugunsten des Klägers sei zwar auf der Grundlage der vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen eine Suizidabsicht nicht bewiesen. Auch könne dahinstehen, ob der Kläger den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe. Sein Verhalten stelle sich jedenfalls deswegen als grob fahrlässig dar, weil er es versäumt habe, den durch die Beschleunigung ausgelösten Driftvorgang dadurch abzuwenden, dass er den Fuß vom Gaspedal genommen hätte. Dies stelle sich als so schwerwiegendes Versäumnis dar, dass hier ausnahmsweise eine Leistungskürzung auf Null gerechtfertigt sei.

Die vom Kläger eingelegte Berufung hatte Erfolg. Das Oberlandesgericht Dresden urteilte am 11.10.2020, dass der Kläger einen Anspruch auf die begehrte Versicherungsleistung aus dem mit der Beklagten geschlossenen Kasko-Versicherungsvertrag hat.

Anders als die Beklagte meint, handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Ereignis um einen „Unfall“ im Sinne der Ziffer A.2.2.2.2 AKB. Die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Kläger den Aufprall auf den Straßenbaum vorsätzlich herbeigeführt hat, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. Selbst die vorsätzliche Herbeiführung eines Schadensfalls schließt einen „Unfall“ im Sinne der AKB nicht aus; maßgeblich hierfür ist allein, dass der Schaden durch eine von außen plötzlich einwirkende mechanische Kraft herbeigeführt wird, wie sie hier durch den Zusammenprall mit dem Straßenbaum gegeben ist. Die Unfreiwilligkeit des Schadensereignisses gehört nach der Definition des A.2.2.2.2 nicht zum Unfallbegriff. Anders als in der Unfallversicherung ist nämlich in der Fahrzeugversicherung das Merkmal der Unfreiwilligkeit in die Bestimmung des Unfallbegriffs nicht aufgenommen worden (Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.04.1998, AZ. IV ZR 118/97, juris Rz. 14 m.w.N.). Soweit früher gleichwohl vereinzelt die Auffassung vertreten wurde, ein freiwillig herbeigeführter Schaden könne niemals eine „Einwirkung von außen“ darstellen, so entspricht dies nicht mehr der höchstrichterlichen Rechtsprechung und herrschenden Meinung (Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.02.1981, Az. IV ZR 58/80, Rz. 13). Die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens mithilfe eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr begründet damit lediglich einen subjektiven Risikoausschluss (Bundesgerichtshof, Urteil vom 18.12.2012, Az. VI ZR 55/12). Bestreitet der Versicherer vor diesem Hintergrund die Unfreiwilligkeit, behauptet er in Wirklichkeit eine vorsätzliche Herbeiführung eines Unfallschadens, wofür er dann auch die Beweislast trägt (Bundesgerichtshof, Urteil vom 05.02.1981, Az. IV ZR 58/80).

Den ihr hiernach obliegenden Beweis der vorsätzlichen Herbeiführung des Unfalls hat die Beklagte nicht geführt. Es gilt insoweit der Beweismaßstab des § 286 ZPO. Für einen Indizienbeweis ist zu fordern, dass ein sehr hoher Grad der Wahrscheinlichkeit für die freiwillige Herbeiführung des Unfalls spricht. Anhaltspunkte für eine freiwillige Selbsttötung sind das Abkommen von einer geraden und trockenen Straße ohne erkennbare äußere Einwirkung, das Fehlen von Brems- und Kratzspuren oder von feststellbaren Mängeln am Kfz, persönliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten des Versicherungsnehmers, frühere Selbstmordversuche oder Ankündigungen. Im Anschluss an das vom Landgericht eingeholte Sachverständigengutachten kann von einer solchen Indizienlage nicht ausgegangen werden.

In der Gesamtwürdigung hält der Senat ein Handeln des Klägers in suizidaler Absicht zwar für möglich, hinreichend bewiesen im Sinne des § 286 ZPO ist diese freilich nicht. Angesichts der konkreten Umstände kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Unfall darauf beruht, dass der Kläger seine fahrerischen Fähigkeiten, das Ausbrechen des Fahrzeugs wieder „einzufangen“, überschätzt hat oder das Fahrzeug im Anschluss an das Telefonat mit seiner Ex-Lebensgefährtin aus Frustration in einen Driftvorgang getrieben hat, den er nicht mehr beherrschen konnte. Infolge dessen gab das Oberlandesgericht der Klage vollumfänglich statt (Urteil vom 10.11.2020, Az. 4 U 1106/20).

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